Abenteuer Wattenmeer – Überleben zwischen den Gezeiten

Die Gefahren im Wattenmeer werden jährlich zahlreichen Menschen zum lebensbedrohlichen Verhängnis, wie beispielsweise eine Rettungsaktion im November 2023 zeigte. Eine Touristin aus Wuppertal wagte sich bei Ebbe ins Watt, wurde jedoch von der einsetzenden Flut überrascht. Eingeschlossen vom auflaufenden Wasser erkannte sie die lebensbedrohlichen Situation und wählte den Notruf. Die Freiwilligen Feuerwehren aus Stollhamm, Butjadingen und Tossens eilten mit 27 Einsatzkräften herbei. Ein Rettungshubschrauber befreite die Frau aus ihrer misslichen Lage. Anschließend wurde sie in eine Klinik gebracht. Leichte Verletzungen und Unterkühlung waren die Folge. Diese dramatische Rettung mahnt eindringlich: Im Wattenmeer ist Vorsicht geboten. Ebbe und Flut sind unerbittlich – Wissen und das richtige Verhalten können Leben retten.

Faszination Wattenmeer

Die Gezeitenküsten, geprägt von Ebbe und Flut, offenbaren eine lebendige Symbiose zwischen Land und Meer. Zwischen Hoch- und Niedrigwasserlinie erstreckt sich das Watt, jener flache Küstenbereich, der zweimal täglich vom Ozean überflutet oder freigelegt wird. Entstanden durch einzigartige Bedingungen nach der letzten Eiszeit, offenbart sich an der südöstlichen Nordseeküste ein ebenes "Schwemmsandwatt" aus lockeren Meeresablagerungen.

Helgolands Felsenküsten und Englands Ufer hingegen beherbergen das anspruchsvolle Felswatt, das mit vollkommen anderen Lebensbedingungen aufwartet. Der Begriff "Wattenmeer" umfasst das gesamte Küstengebiet zwischen Den Helden in den Niederlanden und Esbjerg in Dänemark. Diese Region birgt nicht nur freifallende Wattflächen, sondern auch Wattströme, Priele, Inseln, Halligen, Sandbänke und Salzwiesen vor dem schützenden Deich.

Einzigartig auf der Welt, präsentiert das Wattenmeer der Nordsee zusammenhängende Wattflächen in beeindruckender Größe. Hoch- und Niedrigwasserstände unterliegen stetigen Schwankungen, wodurch keine festen Grenzen zwischen Watt, Land und offenem Meer existieren. Hier verschwimmen die Übergänge in einem fließenden Tanz der Gezeiten, und die Natur entfaltet ihre unvergleichliche Schönheit entlang dieser dynamischen Küstenlandschaft.

Kraftvolle Gezeiten

Die Gezeiten, auch als "Tiden" bekannt, zeigen sich an den Küsten als eine imposante Symphonie aus Mondkraft und Fliehkraft. Zweimal täglich inszenieren sie ein Schauspiel, bei dem das Wasser auf- und abläuft, den Höchststand beim Hochwasser erreicht und Niedrigwasser den tiefsten Punkt markiert. In einem Tanz zwischen Erde und Mond beträgt der Abstand zwischen zwei Hochwassern etwa 12 Stunden und 25 Minuten, was zu einer täglichen Verschiebung der Gezeiten um etwa 50 Minuten führt.

Die Nordsee, ein Schauplatz dieser Naturgewalten, offenbart einen Tidenhub von 2-4 Metern. Die deutsche Bucht agiert wie ein Trichter, verstärkt die Gezeitenströmungen im inneren Teil des Wattenmeeres und führt zu größeren Tidenhüben.

Eine astronomische Besonderheit ergibt sich alle zwei Wochen bei Voll- und Neumond, wenn Sonne, Erde und Mond in einer Linie stehen und die Gezeitenbewegung verstärken – die Springtide. Im Gegensatz dazu schwächen sich bei einem rechten Winkel, bei Halbmond, die Anziehungskräfte ab, und die Nipptide tritt auf. Die Nordsee erlebt diese Phänomene mit einer zeitlichen Verzögerung, bedingt durch die Gezeitenwelle des Atlantiks.

Jahre im Voraus lässt sich berechnen, wann an einem Ort Hoch- und Niedrigwasser auftritt. Dies kann man im Gezeitenkalender nachschauen.

Auch starker Wind, insbesondere im schleswig-holsteinischen Wattenmeer, kann diese Bewegungen beeinflussen. Westwinde erhöhen dort den Flutstrom, während Ostwinde niedrigere Wasserstände bewirken. Ein Wissen, das bei Wattwanderungen von entscheidender Bedeutung ist.

Schutzzonen im Watt

Das Wattenmeer ist ein kostbares Naturerbe und genießt Schutzstatus als Nationalpark entlang der deutschen Küste. Hinter dem Deich erstrecken sich drei Schutzzonen. Betreten werden dürfen nur ausgewiesene Wegen und unmittelbar das Watt 150m vor dem Deich. In Zone 1, mit Seehundbänken und Vogelbrutplätzen, gilt absolutes Betretungsverbot. In Zone 2 ist der Schutzstatus etwas geringer, jedoch sind lokale Betretungsverbote, vor allem in Brutgebieten, strikt zu beachten. Wasserseitig ist es wichtig, sich an die Schutzgebiete zu halten und nicht auf Außensänden oder Sandbänken auszusteigen.

Wer tiefer als 150 Meter ins Watt möchte benötigt eine Genehmigung oder schließt sich einer Wattwanderung an. Respekt und Achtsamkeit bewahren die einzigartige Schönheit dieses natürlichen Ökosystems.

Wattflächen

Durch unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten des Wassers im Watt kommt es zur „Sortierung“ des Bodenmaterials nach der Korngröße. Dadurch entstehen drei unterscheidbare Wattarten von denen unterschiedliche Einsinkgefahren für Wattwanderer ausgehen:

  • Sandwatt ist bequem begehbar, der Bodenwassergehalt beträgt etwa 25%. Durch ständige Umlagerung der Oberflächenschicht ist zumeist eine deutliche Sandrippelstruktur ausgebildet. Wattwurmhaufen kommen vor, sind jedoch selten.
  • Mischwatt ist meist durch dichte Besiedelung des Wattwurms gekennzeichnet, so dass dessen Kothaufen und Fresstrichter auch sehr häufig auftreten und die Oberflächenstruktur bestimmen. Mischwatt ist immer noch gut begehbar, die Füße sinken manchmal ein wenig ein und hinterlassen deutliche Fußspuren. Der Bodenwassergehalt beträgt 25-50%.
  • Schlickwatt besitzt eine glatte, gelegentlich glänzende Oberfläche, weil es mit einem Bodenwassergehalt von 50-70 % stark mit Wasser durchsetzt ist. Daher sinkt man leicht knietief ein. Der Schlick haftet an den Beinen fest und riecht stark unangenehm schwefelig nach faulen Eiern.

Sandrippelstruktur

Schlickwatt

Gefahren im Wattenmeer

Das wunderschöne Wattenmeer birgt neben den Gezeiten und dem Schlickwatt zahlreiche weitere Gefahren, die Entdecker im Auge behalten müssen. Besonders heimtückisch ist der plötzlich auftauchende Seenebel, der die Sicht auf wenige Meter einschränkt. Bewegen sich warme Luftmassen über kühlerem Wasser, so kühlen sich diese über dem Wasser schnell ab. Die dabei nach Erreichen des Taupunkts gebildeten Wassertropfen bilden eine dichte Nebelschicht über der Wasserfläche. Die Helligkeit reduziert sich, Kontraste verschwinden, und das Orientierungsvermögen wird stark beeinträchtigt. Ein Whiteout kann die Landschaft in ein undurchdringliches Geheimnis hüllen. Manchmal hält dieser Nebel sehr lange an und vergeht auch bei stärkeren Winden nicht. Neben dem Seenebel birgt auch schon alleine die weite Landschaft die Gefahr des Orientierungsverlustes. Ohne Peil- oder Markierungspunkte am Horizont verläuft man sich schnell, weil man ohne visuellen Ausgleich nie gerade Strecken läuft.

Aufziehender Seenebel

Um Wattwürmer aus dem Boden zu locken watscheln Möwen auf der Stelle und sinken dabei etwas in den Boden. Diese Löcher können beim Wattwandern zur echten Trittfalle werden. Grundsätzlich ist Barfußlaufen ratsam, um nicht durch festgesaugte Schuhe behindert zu werden, doch Muscheln können zu blutigen Schnittverletzungen führen.

Senken, unscheinbare Vertiefungen, können sich unbemerkt mit Wasser füllen und den Rückweg abschneiden. Wie auf dem Festland Flüsse und Bäche für Entwässerung sorgen, so gibt es im Wattenmeer ebenfalls ein System von Wasserläufen - die Priele. Sie werden bei Flut zu reißenden Strömen, die auch den Weg zurück versperren können. Selbst wenn das gesamte Watt schon mit Wasser bedeckt ist und man grundsätzlich schwimmen kann, entsteht im Bereich der Priele eine starke Strömung, die einen vom Kurs Richtung Land abbringen kann. Deswegen sollten selbst geübte Schwimmer Priele keinesfalls durchqueren.

Extremwetter wie starker Wind, Sandhosen, sowie Gewitter verwandeln das Wattenmeer in eine unberechenbare Arena. An Schönwettertagen lauert die Gefahr von Sonnenbrand und Sonnenstich durch die reflektierende Strahlung auf der feuchten Wattoberfläche.

Wie verhalte ich mich, um nicht in eine Notlage zu geraten?

Ein sicheres Abenteuer im Wattenmeer erfordert mehr als nur Entdeckungslust – Ortskenntnis ist das A und O. Nur mit geschulten, ortskundigen Begleitern sollte man die einzigartige Landschaft erkunden. Doch auch persönliche Vorbereitung spielt eine wichtige Rolle.

Der Blick auf Gezeiteninformationen ist unerlässlich. Plattformen wie Gezeitenfisch.com, die Wasserstandsvorhersage vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie und die Windfinder-App geben tagesaktuelle Wasserstände und den Zeitpunkt von Hoch- und Niedrigwasser an. Bedenke dabei genug Zeit für den Rückweg einzuplanen.

Auch das Wetter, Windrichtung sowie Sonnenaufgang und -untergang muss im Vorfeld gecheckt werden. Eine gründliche Streckenanalyse ist unabdingbar: Schlickfelder, Priele, Senken, Muschelfelder und Steilkanten müssen beachtet werden. Die Kenntnis von Wegmarken und Peilungspunkten ist essenziell.

Wattwanderungen sollten ausschließlich im Sommer tagsüber bei ruhigem Wetter und guter Sicht erfolgen. Dämmerung, Dunkelheit, Sturm oder Nebel bergen lebensgefährliche Risiken.

Bei der Planung sollten folgende Fragen geklärt werden:

  • Welche Route gehe ich hin und zurück?
  • Wie sind die Priele gefüllt? Welche Strömungen sind zu erwarten?
  • Wo steht möglicherweise flächendeckend Wasser?
  • Läuft das Wasser schneller auf/ab? Die Springtide ist gefährlich, da die Geschwindigkeit oft unterschätzt wird.
  • Läuft das Wasser langsamer auf/ab? Die Nipptide ist gefährlich, da der Wasserstandsunterschiede weniger deutlich wahrgenommen wird.
  • Wie wird das Wetter?
  • Wann geht die Sonne unter?
  • Wo befinden sich Rettungsbaken in der Nähe?
  • Kann ich unter den Bedingungen überhaupt los?

Vor dem Aufbruch ist eine Anmeldung bei einer Person am Festland sowie beim örtlichen Naturschutzverband oder der Wasserschutzpolizei ratsam. Die Sicherheitsausrüstung – GPS, Kompass, Handy, pyrotechnisches Seenotsignal, Trillerpfeife, Erste-Hilfe-Set, warme Kleidung, Wind- und Regenjacke, sowie Sonnencreme – sollte stets griffbereit sein. Eine Uhr mit Wecker hilft die Zeit für den Rückweg im Blick zu behalten.

Was tue ich, wenn ich in einer Notlage bin?

In den Weiten des Wattenmeers können unvorhersehbare Situationen entstehen – das richtige Verhalten in Notlagen ist dann entscheidend für das Überleben.

Besonders tückisch ist das Schlickwatt, in das man bis zu den Oberschenkeln einsinken kann. Sich daraus zu befreien kann schnell zur Tortour werden. Je unkontrollierter man sich bewegt, desto tiefer versinkt man im matschigen Boden. Dies kann zu Panik, Unterkühlung und Erschöpfung führen.

Um ein Schlickfeld sicher zu durchqueren musst du dem ersten Impuls wiederstehen möglichst schnell durchzugehen. Der Boden ist zäh wie Honig und genauso zäh bewegst du dich auch fort. Mache möglichst kleine, langsame Schritte und breite deine Arme zum Halten des Gleichgewichts aus. Vermeide es umzufallen und dich mit den Händen abzustützen, da der Körper so unnötig schlickig wird und es umso schwerer wird wieder aufzustehen. Solltest du stürzen, lass dir durch deine Begleitung beim Aufstehen helfen.

Wenn der Nebel sich dicht über die Wasserfläche legt oder sich die Gezeiten schneller ändern als erwartet, ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. Vertraue auf dein Wissen über das Gelände und nehme sofort Kontakt mit deinen Begleitern auf. Folge deinen Fußspuren zurück zur Küste.

Es besteht die Gefahr den vermeintlich kürzeren Rückweg zu nehmen und dann in ein Schlickfeld zu geraten. Der sichere Weg zurück wäre der gleiche wie hin. Doch wenn das Wasser dann noch aufläuft entstehen gefährliche Situationen, die zu Panik und falschen Entscheidungen führen können.

Ist der Rückweg abgeschnitten, kann eine Rettungsbake lebensrettend sein. Dies ist ein erhöht gebauter Zufluchtsort. Diese sind meist als faradayscher Käfig konstruiert um darin vor Blitzschlag sicher zu sein und enthalten Decken, Trinkwasser und Seenotsignalmittel.

Windhose über Süderoogsand mit Schutzbake

Im akuten Notfall kann es nötig werden Hilfe zu verständigen. Europaweit ist dies unter der Notrufnummer 112 möglich. Im Seenotfall wird man weiterverbunden mit der Rettungsleitstelle See (Maritime Rescue Coordination Center MRCC Bremen), die auch direkt Notrufe unter +49 421 536 87 0 entgegen nimmt. Noch einfacher und sicherer ist die Verwendung der App SafeTrx der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS).

Sollte aufgrund fehlenden Netzes ein Notruf nicht möglich sein, ist es ratsam mit Seenotsignalen und einer lauten Trillerpfeife Aufmerksamkeit zu erregen. Falls du auf einer Sandbank gestrandet bis, suche umgehend höheres Terrain auf und signalisiere dass du Hilfe benötigst.

Die Rettung durch die Profis erfolgt durch Boote, amphibische Wattfahrzeuge oder mit dem Hubschrauber.

Das Wattenmeer ist eine faszinierende, aber auch anspruchsvolle Naturkulisse – mit Vorbereitung, Ruhe und dem richtigen Verhalten in Notlagen bleibt jede Entdeckungsreise sicher und unvergesslich.

Dieser Text ist entstanden in Zusammenarbeit mit Eli Heimbach. Sie ist Biologin, Fotografin und hat als Vogelwartin auf der Hallig Norderoog im nordfriesischen Wattenmeer gelebt. Sie nahm die Kamera mit dem Ziel der fotografischen Dokumentation ihrer Beobachtungen in die Hand. Vom reduzierten Lebensstil auf der einsamen Vogelinsel inspiriert, veränderte sich ihr Fokus bald gen Abstraktion der Motive. Erfahre mehr über Eli auf ihrer Website.

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