Erste-Hilfe für Jäger

Lebensgefährlich von einem Pfeil in die Schulter getroffen starb Ötzi, der Mann aus dem Eis, vor über 5300 Jahren am Tisenjoch in den Südtiroler Alpen. Lange wurde aufgrund der Fundsituation des mumifizierten Körpers und der Ausrüstungsgegenstände vermutet, dass es zu einem Kampf unmittelbar vor dem Tod gekommen sei. Neuere, 2022 in einer Studie publizierte Analysen widersprechen dieser Theorie. War Ötzi vielleicht doch das erste uns bekannte Opfer eines Jagdunfalls?

Vermutlich gibt es Jagdunfälle seit der Zeit, als sich der Mensch vom eher vegetarisch orientierten Sammler zum Jäger entwickelt hat.

Historisch gut belegt ist der berühmte Jagdunfall auf einer Drückjagd im Böhmischen Brandy, auf der Kaiser Karl VI. persönlich seinen höchsten Stallmeister Adam Franz Fürst von Schwarzenberg erschoss. Karl VI. galt als schlechter Schütze, da er kurzsichtig war. Dies tat seiner Freude an der Jagd jedoch keinen Abbruch. Am 10. Juni 1732 gab es ein Treiben mit mehreren Schützen auf Hirsche. Dabei wurden die Jäger im Gebüsch so angestellt, sodass sich Kaiser und Fürst circa 60 Meter gegenüber standen. Die Treiber brachten Hirsche aus dem Röhricht am Fluss auf die Läufe und einer lief zwischen die Jäger. Der Kaiser verfehlte den Hirschen, nicht jedoch den Stallmeister. Das Geschoss schlug in die linke Hüfte ein und führte zu starken inneren Verletzungen.

Ob Glaube oder Humor, der tödlich Getroffene schaute seinem nahen Ende gefasst entgegen: „Es ist die Entscheidung des Himmels, dass ich von Seiner Hoheit erschossen wurde“. Zwölf Stunden nach dem Treffer erlag er seinen Verletzungen.

Treiber auf einer Drückjagd in gut sichtbarer Signalkleidung

Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland zum Glück relativ wenige Unfälle im Kontext der Jagd. Dies liegt unter anderem an der umfangreichen Ausbildung, den strengen Sicherheitsvorschriften und dem Reviersystem.

Durchstoßfeste Sauenschutzkleidung für die Nachsuche

Die ganze Bunderepublik ist in Jagdreviere aufgeteilt, die durch ortskundige, dort fest an das Revier gebundene Personen bejagt werden. Man kennt sein Jagdgebiet, gefährliche Bereiche, Rettungswege und weiß, wo die Jagdkameraden ansitzen. Anders ist dies in Ländern, in denen die Jagd im Lizenzsystem durchgeführt wird. Dort erwirbt man zum Beispiel den Abschuss von einem Elch. Um diesen zu erlegen ist man nicht auf ein Gebiet beschränkt, in dem man selbst ortskundig ist. Daneben fehlen auch häufig Hochsitze, da die Jäger nicht direkt für „ihre Revier“ mit den darin befindlichen Jagdeinrichtungen verantwortlich sind. Um trotzdem von einem erhöhten Punkt aus jagen zu können, werden vermehrt Klettersitze und Saddle eingesetzt. Diese stellen ein erhöhtes Unfallrisiko dar.

Selbst- und Fremdrettung vom Klettersitz muss geübt werden

In den USA sterben mehr Jäger durch den Absturz mit dem Klettersitz als durch Schusswaffen. In Deutschland hingegen gehen die meisten tödlichen Jagdunfälle auf Schussverletzungen zurück. Leider gibt es nach wie vor (auch wenn es Verbände gibt, die anderes suggerieren) bei uns keine systematische Erfassung von Unfällen im Kontext der Jagd. Nach Literaturrecherche kann man jährlich von rund 800 erheblich verletzten Personen durch die Jagdausübung in der Bundesrepublik ausgehen.

Die meisten Verletzungen entstehen durch Schnittverletzungen, Stürze mit Prellungen und Knochenbrüchen sowie Absturz vom Hochsitz. Durch Schüsse getötet werden bis zu zwölf Personen jährlich, zahlreiche weitere werden durch Kugeln zum Teil mit bleibenden Folgeschäden verletzt. Erfahrene Schützen über 40 Jahren verursachen dabei die meisten Unfälle. 

Schnittverletzungen zählen zu den häufigsten Unfallschäden auf der Jagd

Es kommt etwas häufiger zu Unfällen mit Schrot als mit Kugelgeschossen. Aufgrund der sinkenden Niederwildbestände geht der Trend jedoch zu mehr Unfällen mit Einzelgeschossen. Flintenlaufgeschosse und Kurzwaffenprojektile bilden eine seltene Ausnahme. In einem Drittel der Fälle von Schussverletzungen trifft sich der Schütze selbst. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass durch den Schwung der Waffe beim Solpern der schwerere Hinterschaft vom Körper weggeschleudert wird und so der Lauf im Fallen auf den Körper zeigt. Außerdem wird die Waffe immer wieder als Werkzeug, zum Beispiel um Äste wegzuschlagen, missbraucht.

Bei 22% der Unfälle mit Schrot kommt es zu Augenverletzungen. Abgeschossene Schrotkörner gelten als steril. Doch gerade bei Querschlägern und entsprechender Eindringtiefe ins Gewebe kann es bei zunächst nur kleiner Wunde zu schweren Infektionen kommen. Verbleiben Blei-Schrotkörner länger im Körper, so kann es zu einer Bleivergiftung mit Nervenschäden, Blutarmut, Störung des Immunsystems, Nierenschäden, Bluthochdruck und Einschränkung der Fruchtbarkeit kommen. Die Bleibelastung ist abhängig von der Menge der Schrotkörner, der Verformung und Lokalisation. Sind diese in Knochennähe kommt es zu größeren Bleiwerten. Deswegen sollten alle Schrotverletzungen ärztlich behandelt werden. In der Regel erfolgt eine chirurgische Entfernung. Ist dies mit hohem Risiko verbunden, kann ein Schrotkorn vorerst auch im Körper verbleiben, wenn regelmäßige Bleispiegelbestimmungen erfolgen.

Unsachgemäßer Umgang mit der Waffe: Konkrete Gründe sind hier unter anderem die falsche Waffenaufbewahrung im Auto. Die geladene Waffe liegt auf dem Rücksitz unter einem Rucksack. Dieser wir aus dem Fahrzeug gezogen, eine Schnalle verhakt sich und schon hat sich der fatale Schuss gelöst. Ein weiteres Thema ist das Besteigen des Hochsitzes. Jeder Jagende weiß, dass die Waffe vor dem Besteigen des Sitzes entladen werden muss. Doch wer still und heimlich zum Hochsitz pirscht, möchte endlich oben angekommen, nicht laut seinen Repetierer durchladen. Und so kommt es auch hier immer wieder zu Unfällen. Schon aus psychologischen Gründen ist die Kipplaufwaffe hier im Vorteil.

Übersehen des Opfers: „Vordergelände frei, Hintergelände frei, natürlich gewachsener Boden als Kugelfang vorhanden, keine umstehenden Personen gefährdet“. So kann ein sicherer Schuss abgegeben werden. Doch in 24 % der Jagdunfälle mit Schusswaffen fehlte eine genaue Umfeldbeobachtung. Ein zu starkes Fixieren auf das Jagdobjekt schränkt die Wahrnehmung ein.

Abdecken beim Mitschwingen: Hier wird das Opfer beim Mitbewegen der Waffe übersehen. Auch bei Schüssen in das Treiben kommt es immer wieder zu Unfällen.

Abprallende Geschosse: Jeweils hälftig passieren diese Unfälle mit Einzelgeschossen und mit Schrot.

Verwechslung des Opfers mit Wild: Bei diesem doch sehr groben Fehler wird vor der Schussabgabe nicht angemessen angesprochen.

Technisches Versagen: Unter zwei Prozent der Schusswaffenunfälle passieren aus technischem Versagen an Waffe oder Munition. Im Umkehrschluss heißt das, über 98 Prozent gehen auf menschliches Versagen zurück!

Vorbeugen ist besser als heilen. Doch menschliche Fehler passieren. Die Handhabung mit Waffen ist immer mit Gefahren verbunden, die sich nie ganz vermeiden lassen. Entsprechend notwendig ist nicht nur die Prävention, sondern auch die effektive Erste-Hilfe, um sich selbst und anderen im Notfall helfen zu können. Dabei sind die Helfer mit einer Situation konfrontiert, auf die sie in einem normalen Erste-Hilfe-Kurs nicht vorbereitet werden. Notfälle auf der Jagd gehen mit geländetypischen Gefahren der Natur einher. Es kann dunkel, nass und kalt sein. Vielleicht muss man sich selbst retten und versorgen, wenn man alleine auf der Jagd ist. Schussverletzungen mit starken Blutungen kommen bei uns in der urbanen Ersten-Hilfe in der Regel nicht vor. Außerdem muss der Helfer mit Waffen umgehen und diese sichern können. Erste-Hilfe-Ausrüstung muss einerseits auch für andere gut erkennbar mitgeführt werden, sollte sich aber auch in die Tarnung des Jägers einfügen.

Es wird deutlich, dass Erste-Hilfe für Jäger mehr der taktischen Einsatzmedizin des Militärs als der urbanen Ersten-Hilfe ähnlich sieht. Doch auch hierzu gibt es deutliche Unterschiede: Auf der Jagd sind in der Regel weniger geschulte Helfer dabei. Außerdem besteht nach dem Unfall, abgesehen von krank geschossenem Schwarzwild und Jagdhunden die ihren Hundeführer „verteidigen“ wollen, keine anhaltende Bedrohungslage. Bei der Armee muss die Versorgung der Verletzten in der Regel unter weiterer Einhaltung der Tarndisziplin erfolgen. Dies ist für den Jäger nicht nötig. In der Armee dienen in der Regel junge, gesunde Menschen. Auf die Jagd gehen Personen bis ins hohe Alter, auch mit diversen Vorerkrankungen. Außerdem werden bei der Jagd andere Geschosse und Schrot verwendet.

Seit der Haager Landkriegsordnung von 1907 werden beim Militär ausschließlich Vollmantelgeschosse in Handfeuerwaffen verwendet. Diese durchdringen den Körper relativ unverändert. Dies führt dazu, dass die getroffene Person eher verletzt wird, als dass sie stirbt. Aus Perspektive des Völkerrechts soll so unnötiges Leid vermieden werden. Gleichzeitig ergeben sich drei Vorteile für den Schützen: Vollmantelgeschosse durchschlagen Körperpanzerungen besser, es können mehrere, hintereinander stehende Personen mit einem Projektil getroffen werden und es wird Personal zur Versorgung der Verletzten gebunden, was bei direkt tödlichen Treffern nicht der Fall wäre. Auf der Jagd werden hingegen Geschosse eingesetzt, die sich im Wildkörper deformieren oder zerlegen. So wird mehr kinetische Energie abgegeben, was zu deutlich schwereren Verletzungen führt und das Wild so schneller erlöst ist. Dies vermeidet wirklich unnötiges Leid und aufwändige Nachsuchen. Geschossteile, die aus dem Tier austreten, haben deutlich weniger Energie, was die Sicherheit hinter dem beschossenen Stück erhöht.

In der Ersten-Hilfe für Jäger ergeben sich so andere Verletzungsmuster, als im militärischen Kontext. Für die Notfallversorgung können Strategien aus der taktischen Einsatzmedizin, wie das MARCH-Schema, übernommen werden. Doch vieles muss an die speziellen Bedürfnisse der Jagd angepasst werden.

Das Glück, nur selten wirklich Erste-Hilfe leisten zu müssen, hat eine Schattenseite: Laienhelfer haben wenig Praxiserfahrung! Das erste Mal wirklich mit Blut und Verletzung konfrontiert zu sein führt häufig zu Stress. Und unter Stress lassen höher Hirnfunktionen nach. Um dieser menschlichen Tatsache zu begegnen muss ein guter Erste-Hilfe-Kurs für Jäger dem Motto „Train as you fight!“ folgen. Das Training muss so realitätsnah wie möglich sein. Was im Kurs unter Stress gelernt wurde, kann auch im Notfall unter Stress abgerufen werden. Wer im gut klimatisierten Seminarraum beim Kaffee lernt, einen Druckverband anzulegen, wird auch im Ernstfall nur bei einem Kaffee einen Druckverband anlegen können.

Realistisches Training für den Ernstfall

Als Jäger haben wir von der Gesellschaft besondere Rechte erhalten. Allen voran, dass wir Waffen besitzen und führen dürfen. Daraus ergeben sich auch besondere Pflichten. Allen voran, dass wir uns an die Sicherheitsregeln halten und uns regelmäßig in realitätsnaher Ersten-Hilfe fortbilden. Leider ist dies nicht verbindlich vorgeschrieben. Mein Traum ist es, dass Jäger alle drei Jahre zur Verlängerung ihres Jagdscheins die Teilnahme an einem speziellen Erste-Hilfe-Kurs für Jäger nachweisen müssen, der speziell auf die Bedürfnisse der Jagd eingeht und unter realistischen Bedingungen durchgeführt wurde.

Ich biete solche lebensrettenden Kurse an. Nähere Informationen dazu findest du hier.

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