Tödliche Kälte – Unterkühlung

Jährlich sterben tausende Menschen an Unterkühlung. Für uns Outdoor- und Survival-Enthusiasten besteht dabei ein erhöhtes Risiko, denn in der Wildnis ist Kälte eine der größten Gefahren.

Wir sprechen von Unterkühlung, wenn die Körperkerntemperatur von den normalen 37 °C auf unter 35 °C abfällt.

In einer Survival-Situation könnten Erschöpfung, Müdigkeit und Nahrungsmangel das Auskühlen begünstigen. Fehlen dann noch Ausrüstung und Kompetenz  kann eine kühle Nacht schnell lebensgefährlich werden. Wärmeerhalt ist deswegen eine der vier primären Survival-Prioritäten!

In der Ersten-Hilfe stellt Auskühlung ein medizinisches Risiko dar. Begünstigt wird dies durch eingeschränkte Mobilität bei schweren Verletzungen, Schäden der Haut (z.B. nach Verbrennungen), gestörter Regulation der Körpertemperatur nach Rückenverletzungen oder durch Zwangslagen, wie eine Einklemmung in der Gletscherspalte. Um diesem Umstand gerecht zu werden, ist im Rahmen der strukturierten Versorgung von Verletzten der Unterkühlung der Punkt H (Hypothermie) im MARCH-Schema gewidmet.

Bei abnehmender Körperkerntemperatur kommt es zunehmend zu folgenden vier Problemen:

  • Bewusstseinseinschränkungen: Die kognitiven Fähigkeiten können sich verlangsamen, die emotionale Resonanz reduziert sich bzw. es kann zu Gereiztheit kommen. Die Fähigkeiten, sich mitzuteilen und sich selbst proaktiv zu helfen, gehen zunehmend verloren. Die unterkühlte Person wird immer schläfriger, wird bewusstlos und kann in ein Koma fallen.
  • Herzrhythmusstörungen bis hin zum Kreislaufstillstand
  • Gerinnungsstörungen, die zu verlängerten Blutungszeiten bis hin zum Verbluten bei Verletzungen führen können
  • Sauerstoff kann bei tiefer Unterkühlung nicht mehr so gut vom Körper zum Energiestoffwechsel genutzt werden, was zu Schäden im Gewebe führt.

Damit es nicht zu einer Unterkühlung kommt, verfügt unser Körper über ein ausgeklügeltes Wärme-Regulationssystem, um das innere Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Bei der Verbrennung von Nahrung in für den Körper verfügbare Energie entsteht Wärme, die der Körper an die Umgebung abgeben muss, um nicht zu überhitzen. Überseigt die Wärmeabgabe jedoch die Produktion, kommt es zur Unterkühlung. Die kritische Temperatur bei einem unbekleideten Menschen ist dabei etwa 25 °C. Ist die Außentemperatur niedriger, geht entsprechend Wärme verloren. Dabei gibt unser Körper auf vier Wege Wärme an die Umgebung ab:

Über direkten Kontakt (Konduktion) mit kühleren Oberflächen wie dem Waldboden. Um diesen Wärmetransport zu verringern, verwenden wir Isomatten beim Übernachten draußen. Der direkte Kontakt mit kaltem Wasser führt schnell zur Auskühlung, da die Wärmeleitfähigkeit von Wasser etwa 21-mal höher ist als Luft. So kann es schon nach 30 Minuten in unter 15 °C kaltem Wasser zum Kreislaufstillstand kommen.

Von Strömungstransport (Konvektion) sprechen wir bei direktem Vorbeiströmen von Luft oder Wasser am Körper. Unser Körper ist ständig von einer Luftschicht umgeben, die vom Körper erwärmt wurde. Diese Luftschicht kann durch Luftpolster wie Wollpullover, Daunenjacken oder Schlafsäcke vergrößert werden. Kommt Wind auf, wird durch den Strömungstransport diese warme Luftschicht weggeblasen. Es fühlt sich kühler an und insgesamt wird mehr Wärme an die Umgebung abgegeben. Der Unterschied zwischen gemessener Lufttemperatur und gefühlter Temperatur in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit wird auch Windchill genannt.

Windchill als Maß für den Wärmeverlust bei Luftbewegung. Bei zunehmendem Wind und gleichbleibender Lufttemperatur entstehen Kühlungseffekte, die wie eine entsprechend Kältere Lufttemperatur wirken.

Im Wasser führt der Strömungstransport durch Bewegung schnell zum Auskühlen, auch wenn durch die Bewegung selbst Wärme erzeugt wird. Deswegen sollten Schiffbrüchige im kalten Wasser das Schwimmen vermeiden. Hat die betroffene Person keine Schwimmhilfe, stirbt sie früher oder später an Ertrinken, nicht an Unterkühlung. Denn mit zunehmender Unterkühlung wird die Muskulatur steifer und die Schwimmbewegungen eingeschränkt. Außerdem kommt es im weiteren Verlauf zu Bewusstlosigkeit und in der Folge zum Ertrinken.

In der Regel wird der größte Teil der Wärme durch Strahlung abgegeben. Eine große Hilfe gegen Unterkühlung stellt hier eine Rettungsdecke dar, die Wärmestrahlung reflektiert.

Mit einem Wärmebildgerät sichtbar gemachte Wärmestrahlung. Die dünne Rettungsdecke wirft effektiv die Wärmestrahlung zurück.

Die drei bisher genannten Arten der Wärmeabgabe funktionieren nur, wenn ein Temperaturgefälle zwischen der Haut und Umgebung besteht. Steigt die Außentemperatur über die Körpertemperatur, wird Wärme nur noch über Verdunstung abgegeben. Ein großer Evolutionsvorteil von uns Menschen war es, dass wir schwitzen und so ausdauernd laufen und jagen können. Wenn Wasser seinen Zustand von flüssig in gasförmig verändert, wird dabei Wärme entzogen, was wir als kühlende Verdunstung kennen. So lassen sich bei großer Hitze Wasserkanister mit einem nassen Lappen kühl halten. Genauso kann verschwitzte Kleidung das Auskühlen beschleunigen.

Das Wissen um diese vier Formen des Wärmeverlustes hilft uns draußen den Wärmeverlust möglichst gering zu halten. So können wir zum Beispiel beim Shelterbau die vier Punkte systematisch durchgehen und den Schutz vor Kälte optimieren:

  • Direkter Kontakt: Gute Isolation zum Boden mittels Waldläuferbett oder einer dicken Schicht Schilf. Wie bei einer modernen Isomatte geht es darum, kleine Luftkammern zu erzeugen, die Abstand zum Boden erzeugen und in denen die Luft nicht zirkuliert.
  • Strömungstransport: Dieser Punkt beginnt bereits bei der Wahl des Lagerplatzes. Wo bin ich gut vor Wind geschützt und wie richte ich das Lager aus? Das Schrägdach oder die Laubhütte sollten so dicht wie möglich gebaut werden. Denn selbst kleinste Luftzüge können schnell auskühlen.
  • Strahlung: Rettungsdecken helfen, die eigene Wärmestrahlung zu reflektieren und somit für den Wärmeerhalt nutzbar zu machen. Aber auch Reflektoren hinter einer Feuerstelle und die richtige Ausrichtung des Schrägdaches helfen, Wärmestrahlung zu nutzen.
  • Verdunstung: Um vor Verdunstungskälte geschützt zu sein, sollte nur trockenes Baumaterial verwendet werden und verschwitzte Kleidung vor dem Schlafengehen gewechselt werden. Sollte keine Wechselkleidung zur Verfügung stehen, lohnt es sich, die Kleidung vor dem Schlafen erst zu trocknen, denn bewegungslos im Schlaf geht die Auskühlung noch viel schneller.

Shelterbau beim Überlebenstraining. Die Rettungsdecke diente als Schrägdach.

Wenn unsere vorbeugenden Maßnahmen nicht ausgereicht haben, den Wärmeverlust zu reduzieren, beginnt der Körper mit entsprechender Gegenregulation. Thermosensoren der Haut und im Körperinneren melden dem Stammhirn ständig die aktuelle Temperatur zurück. Fällt diese ab, werden von dort aus insbesondere folgende Schritte zur Regulation eingeleitet:

  • Verhaltensänderung: Sich zum Beispiel aktiv bewegen oder wärmere Kleidung anziehen.
  • Zittern: Erst nimmt die Muskelanspannung zu. Bei weiterer Abkühlung beginnt ein unwillkürliches Muskelzittern. Dabei entsteht eine Wärmebildung von bis zum dem Fünffachen des Grundumsatzes!
  • Blutfluss: Die Blutgefäße in und unter der Haut können in ihrem Durchmesser fein justiert werden. So wird der Blutfluss reguliert und damit auch die Wärmeabgabe an die Umgebung. Je stärker die Haut durchblutet wird, desto mehr Wärme wird abgegeben. Um dies bei Kälte zu verhindern, werden die Gefäße eng gestellt. Bei sehr großer Kälte kommt es etwa alle 20 Minuten wieder zu einer kurzzeitigen Weitstellung der Gefäße, um die Haut zu schützen.

Reichen diese Reaktionen nicht aus, kommt es zur Unterkühlung in vier Stadien:

Stadien der Unterkühlung entsprechend der überarbeiteten Schweizer Stadien Einteilung

Bei abfallender Körperkerntemperatur hört das Zittern wieder auf, um die Muskeldurchblutung zu reduzieren. Das warme Blut bleibt so im Körperzentrum bei den lebenswichtigen Organen. Kältezittern wurde bis zu einer Körperkerntemperatur von 30 °C beobachtet und dient deswegen nicht mehr zur Unterscheidung zwischen Stadium eins zu zwei. Bei jungen, gesunden Menschen ist das Risiko eines Herz-Kreislaufstillstands bei vorhandenem Zittern unwahrscheinlich.

Im Gelände ist die Messung der Körperkerntemperatur schwierig. Oberflächliche Messungen, wie unter der Achsel oder im Ohr, sind zu ungenau. Einzig eine rektale Messung mit einem Thermometer, das für tiefe Temperaturen zugelassen ist, wäre genau genug. In der Praxis ist das Problem, dass der Verletzte entkleidet werden müsste und dabei weiter auskühlen würde. Deswegen dienen die in der Tabelle beschrieben Bewusstseinszustände zur Einteilung der Stadien. Diese können natürlich beeinflusst sein, durch Kopfverletzungen, Höhenkrankheit oder Vergiftungen.

Die Versorgung der unterkühlten Person erfolgt anhand der Stadieneinteilung. Grundsätzlich gilt dabei, dass Erfrierungen immer erst nach erfolgreicher Wiedererwärmung behandelt werden, wenn keine erneute Unterkühlung oder Erfrierung mehr droht.

Stadium 1: Aktive Bewegung, bringen in eine warme Umgebung, gezuckerte warme Getränke trinken. Das Kältezittern setzt große Mengen Energie um, die in Form von schnell verdaulichen Kohlenhydraten nachgelegt werden sollte. Wiedererwärmte Personen sind häufig als Folge des Zitterns stark erschöpft und sollten sich in Wärme weiter ausruhen.

Stadium 2: Aufgrund der Bewusstseinsveränderung sollte auf Trinken verzichtet werden, da sich der Unterkühlte verschlucken könnte. In den Extremitäten ist das Blut schon deutlich kälter als im Körperkern. Werden in diesem Zustand die Extremitäten zu stark bewegt, mischt sich das kalte Blut der Schale mit dem warmen Blut des Kerns und die Körperkerntemperatur kann schnell abfallen. Dabei kann es zum Kreislaufstillstand kommen. Um diese Gefahr möglichst zu reduzieren, sollte die Verletzte nicht mehr als unbedingt nötig bewegt werden, gut gegen Kälte isoliert werden und wenn möglich vom Körperzentrum aus wieder erwärmt werden. Dazu kann eine sogenannte Hibler-Wärmepackung genutzt werden. Als Wärmequelle können Sofortwärmekompressen, am Feuer erwärmte Steine oder in eine Tüte oder Folie eingeschlagener Stoff, welcher mit heißem Wasser getränkt ist, verwendet werden. Prüfe vorsichtig, dass die Steine und das Wasser nicht so heiß sind, dass es zu Verbrennungen kommen würde. Die Wärmequellen werden nahe am Brustkorb und Bauch platziert, jedoch nicht direkt auf der Haut. Der Körperstamm wird dann zusammen mit den Wärmequellen mittels Rettungsdecke eingewickelt. Im Anschluss wird der gesamte Körper in einen Schlafsack oder eine Decke eingepackt. Zur Isolation gegen die Bodenkälte dient eine Isomatte. Hilfreich ist auch das wasser- und winddichte Einpacken in einen Biwaksack. Der Kopf wird mit einer Mütze und Schal geschützt. So wärmen die Wärmequellen den Körper von zentral nach peripher auf.

Zwei Verletzte wurden mittels improvisierter Trage zu einem Sammelplatz für die weitere Versorgung gebracht. Am Rand der Feuerschale werden Steine als Wärmequelle für die Unterkühlten vorbereitete.

In der Praxis ist es schwierig, jemanden im Gelände damit wiederzuerwärmen. Bei den kurzen Rettungszeiten in Mitteleuropa reicht in der Regel der Schutz vor weiterer Auskühlung durch Isolation. Ist jedoch keine Rettung absehbar, bleibt keine andere Möglichkeit, als Wärmequellen zur Wiedererwärmung zu nutzten. Ich habe persönlich dabei sehr gute Erfahrungen damit gemacht, warme Steine vom Feuer zu nutzten. Diese sollten dafür etwa faustgroß sein. Mehrere dieser Steine am Körperstamm platziert, geben durch ihre relativ hohe Masse viel Wärme an den Körper ab. Zwischenzeitlich können weitere Steine erhitzt werden und diese dann regelmäßig ausgetauscht werden.

Stadium 3: Die Person ist nicht mehr ansprechbar, also bewusstlos, und atmet noch. Neben den Maßnahmen aus Stadium zwei kommt jetzt noch hinzu, dass die Person in die Stabile Seitenlage gelegt werden muss, um die Atemwege zu sichern. Es ist schnellstmöglich professionelle Hilfe und Transport in eine Klinik zu organisieren. In der ganzen EU funktioniert die 112 als Notrufnummer.

Eine bewusstlose Person wird in der Stabilen Seitenlage warm eingepackt.

Stadium 4: Die Unterkühlte ist bewusstlos und atmet nicht mehr. Es ist davon auszugehen, dass auch kein Kreislauf mehr vorhanden ist, das Herz also nicht mehr ausreichend Blut durch den Körper pumpt. Jetzt steht die Reanimation (dreißigmal Drücken auf die Mitte des Brustkorbes und zweimal beatmen im Wechsel) als Maßnahme im Vordergrund. Unter dieser Maßnahme wird im Gelände kaum eine Wiedererwärmung möglich sein. Deswegen ist alles daran zu setzten die Person schnellstmöglich in ein spezialisiertes Krankenhaus zur Wiedererwärmung zu transportieren. Normalerweise sollte die Reanimation nicht unterbrochen werden. Die starke Unterkühlung hat jedoch den Vorteil, dass sie das Gewebe bei Sauerstoffmangel schützt. So ist es ausnahmsweise zulässig, die Reanimation nach fünf Minuten für fünf Minuten im Wechsel zu unterbrechen. Diese Unterbrechung kann dann dazu dienten, die Verunglückte ein Stück zu transportieren.

Über die Hälfte der Unterkühlten, die mit einer Körperkerntemperatur von unter 30 °C in eine Klinik eingeliefert werden, versterben. Trotzdem lohnt sich der große Aufwand des Wärmeerhalts, der Reanimation, des Transports und der Wiedererwärmung in der Klinik, da es immer wieder erstaunliche Fälle gibt, in denen schwerste Unterkühlungen überlebt wurden.

Es war ein schöner Abend Ende Mai 1999. Eine 29-jährige Ärztin war mit zwei Kollegen gerade dabei in der Nähe von Narvik im Norden Norwegens ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, dem Telemarkschifahren. Dabei ist sie in eine Eisrinne gestürzt und wurde zwischen Eis und Fels eingeklemmt und von kaltem Wasser umspült. 40 Minuten lang versuchte sie sich durch Bewegung warm zu halten und aus der Spalte zu entkommen. Doch schnelle Rettungsversuche blieben erfolglos und sie wurde bewusstlos. Die alarmierte Rettung kam weitere 40 Minuten später am Unglücksort an und schnitten ein Loch ins Eis, um sie aus der Spalte zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt war sie klinisch bereits tot. Es wurde mit der Reanimation begonnen und sie wurde mit dem Rettungshubschrauber in die Uniklinik nach Tromsø gebracht. Dort wurde eine Körperkerntemperatur von 13,7 °C festgestellt! Nach weiteren neun Stunden Reanimation und Wiedererwärmung konnte sie auf die Intensivstation verlegt werden. Dort kam es im Verlauf von mehreren Wochen immer wieder zu medizinischen Komplikationen. Doch danach konnte sie das Krankenhaus ohne größere Langzeitschäden verlassen und war bereits nach einem Jahr wieder auf demselben Gipfel Schifahren.

Dieser Fall ist die tiefste dokumentierte Körperkerntemperatur, die von einem Menschen überlebt wurde. Entscheidend dafür waren die schnelle Rettung und die gute, kontinuierliche Reanimation.

Auch wenn es sich hierbei um einen Extremfall handelt, sind wir in der Wildnis häufig mit Unterkühlung konfrontiert. Doch mit dem hier dargestellten Wissen und einfachen Techniken lassen sich die Gefahren reduzieren und sicher helfen.

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